Ich füge mich dem versammelten Rat der Doktoren und Therapeuten und berichte nach langen Jahren des Schweigens von meinem Ersten Mal.
Um meine damaligen Lebensumstände skizzenhaft zu umreißen sei an dieser Stelle angeführt, dass ich der Zeit einen Meter und achtzig Zentimeter in der Höhe, sowie 17 Jahre in der Zeit maß, ein Gymnasium im Mantel eines Außenseiters frequentierte und zum Ersten in meinem Leben ein Mädchen liebte, welches zwar eine andere als meine Schule besuchte, doch ein wunderbares Paar mit meiner Person bildete. Letztere sah ich erwiesenermaßen fast täglich, meine Liebste hingegen fast ausschließlich wochenends.
Dies alles sind Umstände, über welche die Herren und Damen Doktoren und Therapuristen hinreichend ins Bild gesetzt sein dürften. Dennoch leiste ich – nachgütig, wie ich bin – der erbetenen Niederschrift dieser Umständlichkeiten gehorsamst und wahrheitsgemäßestens Folge. Danke für die stehenden Ovulationen. Danke.
Der Tag nun, dem mein Erstes Mal eine Kreuzkerbe in das gedankliche Kalenderblatt kerbte, erfreut sich, der neunzehnte Juli eines gewissen Jahres gewesen [und noch immer] zu sein. Der Tag war boshaftigerweise, ein äußerst hochtemperierter, womit sich die Frage nach warmer Oberbekleidung artig verabschiedigte – adé. Ich bewegte mich, wie bei Homo Fabiens üblich, auf meiner unteren Extremität in Richtung Bildungs- und Wissensmastbetrieb, während warmkühle Dämmerungsluft meine bloßliegenden Hautpartien verschmeichelte. Dies geschah frei jedweder erwähnenswerter Erleb- und Ereignisse. Meine Stimmung beanspruchte für sich den Bereich zwischen gemäßigt und quietschfidel, ein Lächeln nistete in meinem Antlitz und machte Anstalten, sesshaft zu werden. Gott bewahre.
Mit besorgtem Blick auf die von den Hemen und Darren – welche einen außerordentlich unsinnigen und -verhältnismäßigen Wert auf akkurate Knappheit legen, Hohlkugeln, die sie halsaufwärts darstellen – bereitgestellten versiegenden Papiermittel sehe ich mich in der erzwungenen Position, meine Erzählung auf beschleunigteren Ebenen sich entfalten zu lassen.
Kurzum: Ich folgte dem zäh tropfend zwei Einheiten einnehmenden Deutschunterricht nur nicht bis ein Kleines über Nichts, während für einen siebzehnjährigen relativ hochtrabende Gedanken, auf deren komplexe Überlegenheit einzugehen mir leider nicht gestattet wird, den Großteil der bescheidenen solipsistischen Welt einnahmen.
Als die so bezeichnete elektronische Glocke das Ende der letzten pädagogischen Einheit markierte, verließ ich das Verlies aus übermäßigem Atem und Scheinwissen und bewegte mich in das, was gemeinhin als große Pause referenziert wird. In welchem Maßstab das groß sein soll, zeigt sich mehr als ausreichend an den derart bezeichneten großen Dichtern und Denkern, wobei hier meiner erhabenen Meinung gemäß weder Adjektiv, noch Substantive adäquat gewählt sind und lediglich der Hybris selbiger Möchtepersönlichkeiten entsprießen.
Nachdem ich wenige Schritte im Flur zurückgelegt hatte, zog ich das mattschwarz lackierte Damastmesser aus dem Halfter in meiner Hosentasche und rammte es mir vertikal in meine Halsschlagader. Hauptsächlich verspürte ich das leicht beißende, glatte Gefühl meines heißen, rasant austretenden Blutes. Schmerz war anwesend, doch zart im Hintergrund angesiedelt. Die Optik wird zügig heller und geht in ein kalt-warmes, freies und leeres Weiß über.
Meine letzten Gedanken sind eine Konzentration plötzlicher Reue, die sich in meiner Liebsten bündelt. Ich will zurück, doch kann nicht. Ich will sie sehen.
Ich bereue nur, dass ich nicht mehr bei ihr sein kann. Davon unabhängig war meine Handlung völlig korrekt.
Das war mein erstes Mal.
[Juli 2015]