Als ich eines Morgens aus unruhigen Träumen erwache, finde ich mich in meinem Bett, das auf dem Mond steht. Ich schließe meine Augen und kontempliere ein wenig.
Es kann kein Traum sein. Wäre es einer, so hätte ich das spätestens während des Inbetrachtziehen desselbigen feststellen müssen.
Wirklich auf dem Mond sein kann ich allerdings auch nicht. Das Atmen fiele mir schwerer.
Ich spüre eine Bewegung neben mir im Bett. Dann eine Stimme.
„Jetzt sind wir wirklich auf dem Mond.“ Es ist die Stimme meiner Freundin, gefüllt mit desolater Verzweiflung und säuerlichem Vorwurf. Ein Hauch von ‚Ich hab’s dir ja gesagt‘ schwingt mit.
Ich halte meine Augen geschlossen. Sie stößt mich. Mit einer trägen Drehung meines Kopfes öffne ich die Augen.
„Warum sagst du das so?“ Meine Stimme kratzt sich rau ihren Weg durch meine Kehle in ihr Ohr. „Warum sagst du das so?“
Sie stößt mich an, die Augen schwimmend in Trauerzorn, und kehrt mir den Rücken zu, dreht sich dann aber doch wieder zu mir hin.
„Warum sind wir auf dem Mond?“ frage ich.
„Weil du es so wolltest, du..“ ihre Unterlippe zittert zärtlich. „Du.. du hast es doch darauf angelegt! Und was ist mit mir? Wer denkt an mich!?“
Ich sage „Ich liebe dich.“ Ich sage „Ich denke immer an dich.“
Sie glaubt mir nicht. Ich verstehe nicht.
„Rede dir das nur ein. In deinem Kopf ist doch nur Raum für dich und deine Bilder, du selbstsüchtiges Stück..“
Bilder? Ich habe keine Bilder gemalt.
„Bilder? Ich habe keine Bilder gemalt.“
„Die Bilder in deinem Kopf, Mann! Stell dich nicht an.“
Ich verstehe nicht.
„Wovon sollen wir hier eigentlich leben?“ Meine Stimme ist noch immer rau, zerraspelt Klang und Sinn der Worte.
„Was?“ Ihre Stimme ist lauter, höher. „Hörst du mir überhaupt zu?“
„Nein, ich meine ja, wir müssen doch auch trinken und essen, oder?“
Sie sieht mich an, als könne sie nicht glauben, was sie gerade gehört hat. Mund leicht geöffnet, Augen geweitet.
„Du bist unglaublich.“ Sie schüttelt den Kopf und steigt aus dem Bett. Hübsch sieht sie aus in ihrem Nachthemd. Ich starre sie verständnislos an. „Unglaublich.“ murmelt sie.
Damit dreht sie sich um und läuft auf einen flachen Hügel in der Ferne zu, dann und wann einen Stein vor sich her tretend.
Sie geht sehr leichtflüßig, fast beschwingt, und ich sehe ihr regungslos nach, wie sie den Hügel besteigt, um anschließend hinter ihm zu verschwinden.
Ich drehe mich auf den Rücken und blicke den fernen Sternen nach, während linkerhand meines Sichtfeldes die rotierende Erde dahindriftet.
Rotiert die Erde, oder drehen wir uns einfach um sie? Vermutlich beides. Die Erde hat es schon immer geliebt, sich zum Mittelpunkt ihrer selbst und ihrer Satelliten – natürlichen oder künstlichen Ursprungs – zu erklären. Eine alberne Eitelkeit, die sie mir jedoch, wie man sagt, vererbt haben soll.
Hanebüchener Unsinn. Meine Gedanken kreisen höchst selten um mich. Und ich auch nicht. Mit Kreisen kommt man niemals an.
In der Ferne kann ich Venus sehen, scheinbar in nächster Nähe zu Mars. Ein geschulter Geist weiß natürlich, dass die beiden durch unüberwindliche Distanzen getrennt werden. Doch auch das ist nur scheinbar.
Es ist absurd, dass Osmium hier genau so schnell zu Boden fällt wie Helium. Atom für Atom.
Was atme ich? Warum bin ich hier?
Die Sterne bleiben mir die Antwort schuldig. Sie kennen mich nicht. Allzu kalt schimmert ihre Hitze. Allzu trübe ist ihr Diamantglanz, umflackert von den Zähnen, von den Milchzähnen lachender Kindermäuler, sardonisch verglimmend und extatisch erblühend, immer im Wechsel. Sie wollen die schwarze Leere zernagen und verschlingen, doch zu flüchtig weich, zu hart frierend trotzt sie ihrem jugendlichen Zahnschmelz und Eifer. Sie beißen sich an ihr in Stücke bis in alle Ewigkeit.
Da bleibt kein Entkommen.
Ich bin eine Mixtur aus für immer an der Leere verzweifelten Sternen und Zeit. Das ist Astronomie.
Woran nage ich? Nage ich, oder habe ich mit den Sternen aufgegeben? Nage ich an meiner eigenen Leere, im solidarischen Gleichtakt mit den Sternen da draußen, die mich nicht kennen, mich verleugnen wie Ischariot, auch wenn kein Hahn mehr kräht?
ein, Solidarität und Gleichtakt ist hier fast so rar gesät wie unter den Menschen, die da drüben gemeinsam mitrotieren, eine disharmonische Kakophonie, die alle Vorstellungen von Höllen übertrifft. Sie drehen sich im Kreis, im Kreis, sie eiern. Ein lachhaftes Bild, das still nüchterne Tränen vergießt, getarnt durch sich überschlagendes, hysterisches Kreischgelächter der Schächter und Schlächter, die sie doch allesamt sind und sein wollen.
Res irrt sich. Ich wollte nicht hier sein. Da drüben wollte ich allerdings auch nicht sein. An und für sich, wieso überhaupt sein? Wozu dieser alberne Aufwand, ein ganzes Universum verloren im Nichts ablaufen zu lassen? Existenz ist ein seltsames Phänomen. Menschliche Existenz ist der Gipfel dieses Irrsinns.
Ich verstehe Menschen nicht. Habe sie nie wirklich verstanden, obwohl ich das, als einer der Ihren, durchaus sollte. Aber sie sind so schrecklich unpraktisch veranlagt und irrational in ihrem Denken.
Warum das? Ja, jah, es mag ja alles seine evolutionstechnischen Begründungen und Rechtfertigungen haben. Doch irgendwann muss doch die Zeit kommen, dieses Erbe, diese Altlast, zu überwinden. Man könnte, wenn man wollte. Man ist schlicht zu faul, zu gemütlich.
Warum auch an sich selbst arbeiten, wenn die Umwelt allen Irrsinn – einem Schwamm gleich – aufsagt, toleriert und sogar gutheißt? Dabei könnte alles so einfach sein. Sie begreifen nicht. Des Wahnsinns fette Beute, das sind sie.
Auch Res ist zu großen, viel zu großen Stücken diesem Unsinn verhaftet. Natürlich habe ich ihr das gesagt, mehr als nur ein Mal. Der Mensch ist schließlich schon immer dazu veranlagt gewesen, die äußeren Umstände seinem Charakter anzugleichen, nicht umgekehrt. Und ich bin auch nur ein Mensch.
Damit allerdings stieß ich bei ihr auf Unverständnis. Sie nannte mich arrogant und selbstgerecht. Ich ginge davon aus, alle Menschen seien so komisch wie ich. Das ist natürlich falsch. Ich weiß, dass sie nicht wie ich sind. Ich weiß jedoch auch, dass sie wie ich sein sollten.
Ich werde von der Seite angestoßen. Res ist wieder da. Ich hatte sie gar nicht bemerkt.
Tut mir Leid, dass ich einfach weggegangen bin. Ich wollte dich nicht alleine lassen. Wir haben doch nur noch uns.“
Mit ihrem letzten Wort erhellt eine gewaltige Explosion den Himmel, genau dort, wo eben noch die Erde schwebte. Ein riesiger Ball aus Gestein, Feuer und Wasserdampf driftet vor unseren gebannten Augen auseinander und kühlt dabei langsam ab. Die Erde ist explodiert. Einfach so.
Ich fühle einen seltsamen Hohlraum in meiner Bauchgegend; als fiele ich. Ich nehme Res‘ Hand. Sie ist schwitzig. Meine auch.
Der Versuch, mich von dem Anblick loszureißen, geht fehl.
Über sieben Milliarden Menschen, denkende Kapazitäten, in Sekundenschnelle ausgelöscht.
Billionen Tiere, Billionen Pflanzen und Pilze, Billiarden Lebewesen für immer ausgelöscht. In einer für uns vollkommen geräuschlosen Explosion.
All die Orte und Flecken, die mit unzähligen Erinnerungen, schönen wie schrecklichen, behängt sind, schweben bis zur totalen Unkenntlichkeit deformiert in die gierige Leere und werden dabei immer dünner und dunkler.
Millilarden Jahre der Evolution – vergebens. Ausradiert, als hätte sie nie stattgefunden. Alle Taten, Gedanken, Sünden und Bußen – vergangen ohne jeden Nachhall.
Chaotische Spuren, von denen sich nicht auf all die kleinen Welten schließen lässt, die wie Zahnräder ineinander griffen. Nichts bleibt vom Bewusstsein.
Alles, alles ist nichtig bis zur Unendlichkeit. So schrecklich sinn- und belanglos. Sinnlos. Sinnlos. Mein Gott. Warum?
Mein Schädel klickt und dreht sich unaufhörlich.
Res drückt meine Hand, ich blicke sie an. Ihre Augen sind noch immer starr nach oben gerichtet.
„Nur noch uns.“ wiederholt sie mit einem heißeren Flüstern. Hat sie Angst?
In meinem Verstand geht eine Türe zu.
„Du hast nicht nachgedacht.“ konstatiere ich.
Ihr Kopf ruckt nach unten, sie sieht mich an.
„Was?“
„Na vorhin, als du weg gegangen bist.“
„Vorhin? Was glaubst du denn bitte, wie lange ich weg war?“ Sie scheint fassungslos.
Viel mehr als eine Stunde kann es kaum gewesen sein. Deswegen einen Aufstand zu veranstalten sieht ihr gar nicht ähnlich.
„Wie lange warst du denn weg?“ bemühe ich mich um einen versöhnlichen Tonfall.
Sie starrt mich einfach weiter an.
„Wie lange?“ frage ich erneut.
Sie antwortet mit lebloser Stimme. „Ich war fast drei Jahre weg.“ Sie ist kurz davor zu weinen.
Ich muss lächeln über ihren verqueren Humor. So ist sie halt manchmal. Doch diesmal erwidert sie das Lächeln nicht.
„Drei! Jahre!“ Warum schreit sie mich plötzlich an? „Drei Jahre und du sitzt hier und grinst mich blöde an! Was.. ?“ Ihr scheinen die Worte zu fehlen.
Phantasiert sie?
Oder verstehe ich sie nicht richtig?
Das klingt nach einem geschmacklosen Witz. Darauf muss ich mich nicht einlassen. Hier nicht.
„Ich war in Gedanken.“ und eine schallende Ohrfeige dreht meinen Kopf um neunzig Grad. Mein linkes Ohr pfeift.
„Du selbstgerechtes zynisches Arschloch!“
Vermutlich hat sie einen psychischen Schock erlitten, als die Erde explodierte. Deswegen kann man ihr kaum böse sein. Ich kann mir vorstellen, dass das für manche Menschen schwer zu verarbeiten ist. Ich will nachsichtig mit ihr sein.
„Es ist nicht deine Schuld.“ versuche ich sie zu beruhigen. Etwas scheine ich dabei falsch zu machen. Ich ergreife ihre Hand, um meine begütigenden Worte zu bekräftigen. Sie zieht sie mit angewidertem Blick zurück. Seltsam.
„Natürlich ist es nicht meine Schuld! Hast du ernsthaft geglaubt, ich würde das auch nur ansatzweise in Betracht ziehen? Was geht in deinem Kopf eigentlich vor, du Freak!?“ Jetzt hat sie auch noch Tränen in den Augen. Toll.
Wahrscheinlich ist sie irgendwie sauer auf mich.
„Es ist deine Schuld, deine allein!“
Ja, sie ist sauer.
Was ist meine Schuld? Ich bin doch nicht auf den Mond geflogen, um mich mit ihr von der gesamten restlichen Menschheit abzukapseln und die Erde zu sprengen.
„Du hast bestimmt Hunger. Ich suche uns was zu essen.“ lächle ich ihr verständnisvoll zu.
Das scheint sie zu beruhigen. Sie hat wohl wirklich nur Hunger. Frauen sind doch einfach zu lesen.
„Ja. Natürlich. Geh Nahrung beschaffen, du mutiger Schakal. Ich, als dein braves, abhängiges Mädchen werde hier ganz selbstverständlich artig auf dich warten. Denn nichts könnte mir größere Freude bereiten, als den Rest meines Lebens mit einer ach so strahlenden Persönlichkeit wie dir zu verbringen. Los, geh, du schimmernder Ritter, ich werde ungeduldig deiner harren.“
Sie scheint endlich Vernunft anzunehmen. Sie lächelt sogar wieder, wenn auch ein wenig schief. Man muss eben wissen, wie man Probleme löst.
So gehe ich also los. In die Richtung, in die sie vorhin – von wegen vor drei Jahren – auch gegangen ist. Direkt hinter dem Hügel entdecke ich auch schon eine kleine Grube, aus der eine Betonwand ragt. Ich steige in die Mulde hinab und schaue über die Mauer. Sie ist ausgesprochen hoch, daher fällt es mir schwer, die andere Seite zu sehen. Ich glaube jedoch, einfache Grabwerkzeuge zu erspähen.
Ich gebe den Versuch auf, über die Mauer sehen zu wollen. Sie ist einfach zu hoch für mich.
Stattdessen versuche ich jetzt, auf den Zehenspitzen die Balance haltend und mit konzentriert geschlossenen Augenlidern, auf die andere Seite der Mauer zu greifen. Die Kanten der Wand stechen mir unangenehm in Brust und Arme, doch wie sehr ich mich auch anstrenge, immer erreiche ich das Werkzeug nur mit den Fingerkuppen, unter denen es davongleitet.
Ich habe mich einmal ähnlich gefühlt, als ich den Schlüssel zu meinem Briefkasten verloren hatte und kläglich beim Versuch, einen albernen Werbeprospekt mit ungeschickten Fingern herauszufischen, scheiterte.
Unbefriedigt gebe ich auf.
Zu meinen Füßen entdecke ich zu m einer Überraschung eine quaderförmige Kühlbox. Verrückt. Sie muss schon die ganze Zeit da herumgestanden haben. Veeerrückt. Irgendwie. Ich werde sie übersehen haben.
Ich öffne den Deckel der Kühlbox. Einige lose Nahrungsmittel liegen darin herum. Sie sehen irgendwie mondig aus. Genau erkennen kann ich sie nicht, so sehr ich mich auch mühe.
Aber mondig sehen sie aus.
Ich setze den Deckel wieder auf und hieve die Truhe aus dem Loch heraus. Dann mich selbst. Rein ist immer leichter als raus. Das gilt für vieles, unter anderem Liebesbeziehungen.
Beschwingten Schrittes, die Kühlbox locker in der Hand baumelnd, mache ich mich auf den Rückweg zum Bett. Res wird sich tierisch über etwas zu essen freuen.
Doch schon vom Apex des Hügels aus scheint mir das Bett leer und verlassen zu sein. Das nun ist ein wenig beunruhigend. Ich war doch gewiss keine drei Jahre weg; wie sie.
Um schneller zum Bett zu kommen, besteige ich den kleinen weißen Rover neben mir, nachdem ich die Kühlbox auf der kleinen Ladefläche am Heck festgezurrt habe. Ich glaube, er stand schon die ganze Zeit hier. Seltsam, dass ich ihn vorhin nicht bemerkte. Er ist eben weiß.
Mag es sein, wie es will.
Meine Affinition zur Technik in allen Bereichen befähigt mich zum Führen des Gefährtes. Es ist recht simpel, fast wie ein handelsübliches Automobil. Oder ein Quad.
Innerhalb weniger Sekunden erreiche ich das Bett. Meine Augen haben mich nicht getrogen. Res ist weg.
Ich steige ab und laufe, nach ihr rufend, in der näheren Umgebung umher. Ich rufe auch, dass ich Essen habe; nur für den Fall, dass sie sich in ihrem Hunger der fixen Idee hingegeben hat, selbst Nahrung zu finden, was natürlich unwahrscheinlich wäre.
Ich erhalte keine Antwort. Ich werde wohl warten müssen, bis sie sich wieder hierher bequemt.
In der Zwischenzeit könnte ich etwas essen. Zwar habe ich keinen Hunger, doch scheint es momentan keinen netteren Zeitvertreib zu geben.
Ich will also zum Rover schlendern – ich habe ja Zeit -, um die Kühlbox zu holen, aber von beiden ist keine Spur zu entdecken. Dabei bin ich vor wenigen Sekunden, höchstens einer Minute, noch an ihnen vorbei gelaufen.
Je nun, ohnehin bin ich noch nicht hungrig, warum mich also nicht einfach eine Weile auf das Bett legen und sinnierend den Sternenhimmel betrachten? Eine so exzellente Sicht wie hier bekommt man fast nirgends. Vor allen Dingen nicht auf der Erde. Lichtverschmutzung.
Aber die ist ja ohnehin Geschichte.
Vielleicht bilde ich mir das ja nur ein. Doch habe ich den Eindruck, dass vorher noch mehr Sterne zu sehen waren. Das ist seltsam. Sterne werden nicht einfach plötzlich dunkel. Wenn vorhin vor zehn Milliarden Jahren gewesen wäre, würde das auch Sinn ergeben. Aber das ist Unfug.
Und doch – ist es nicht ein wenig kälter geworden? Ein wenig dunkler?
Mich fröstelt ein wenig und ich krieche unter die Decke. Wirklich warm wird mir nicht.
Misstrauisch beäuge ich die Sterne. Sind es eben schon wieder weniger geworden?
Ohne lange zu suchen finde ich den großen Wagen. Es besteht kein Zweifel. Ihm fehlen zwei seiner Sterne. Was passiert hier? Ein Planet explodiert nicht einfach. Sterne verschwinden nicht ohne Weiteres. Zumindest müsste von dann zu dann der grelle Blitz einer Supernova zu sehen sein. Doch ich entdecke nichts dergleichen.
DA! Eben ist vor meinen Augen ein dritter Stern dieses inzwischen nur noch fragmentarischen Sternbildes verstummt. Einfach so, vom einen Augenblick zum nächsten. Das ergibt keinen verdammten Sinn. Verdammte Scheiße.
Es sei denn natürlich, etwas legte sich über die Sterne, verdeckte und versteckte sie vor meinen Augen. Auch das ist allerdings abstrus. Was bitte sollte das sein? Und warum? Und wieso sollte es sich so wahllos vor die Himmelskörper legen? Ein Muster nämlich kann ich nicht erkennen.
ein.. es fühlt sich vielmehr so an, als hätte Gott beschlossen, ein Licht nach dem anderen auszuknipsen, bis alles schwarz wird. Gott, der vor der sündvollen Welt in Verzweiflung kapituliert ist und jetzt kläglich versucht, seinem einsamen Abgang so viel Würde zu geben, wie noch in seiner Macht steht. So steht er in seinem tausenddimensionalen Schaltraum vor riesenhaften Armaturen und legt unter stillen Tränen und geschüttelt von gelegentlichem Schluchzen Schalter um Schalter um, dieser bedauernswerte Alte. Dann wird er sich mit seiner Schande unter einem Berg aus Schädeln begraben, seinem verdorrten Sohnemann zu Füßen.
Inzwischen sind nur noch sehr wenige Sterne zu sehen. Man kann sie jetzt zählen. Einunddreißig. Neunundzwanzig. Knips. Schalter auf aus. Ein Kurzschluss – Dreiundzwanzig.
Dass Sterne früher oder später ausgebrannt sind, ist keine Neuheit. Aber was gerade geschieht widerspricht jeglichen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.
Neunzehn.
Träume ich? Dinge tauchen auf und verschwinden ohne Anlass. Es fühlt sich nicht wie ein Traum an.
Siebzehn.
Mein rationales Denken ist nicht eingeschränkt. Würde ich träumen, ich hinterfragte wenig von all dem.
Dreizehn.
Ich bin also wach.
Elf.
Das hier ist die Realität.
Neun.
Die einzige.
Sieben.
Ich bin allein.
Fünf.
Es wird dunkler um mich.
Drei.
Ich friere.
Zwei.
Zwei.
Zwei.
Zwei.
Zwei.
Ich werde angestoßen.
Es ist Res. Sie liegt unter der Decke neben mir und zittert wie verrückt. Seit wann ist sie wieder da? Ich schließe sie in meine Arme. Sie ist unfassbar dünn. Ich muss an die Verse eines Liedes denken, das schon lange niemand mehr kennt.
Zerbrich, Zerbrich
Für mich du Hure
Nur für mich.
Berste wie Glas, Wolkenglas.
„Hast du bemerkt“ flüstert sie wackelig „dass die Sonne weg ist?“
Nein, ich hatte es nicht bemerkt. Überhaupt kann ich mich nicht daran erinnern, die Sonne gesehen zu haben, seit wir hier sind.
„Du hast nie eine Sonne gebraucht. Du hast nie gesehen, dass andere eine Sonne brauchen. Du hast nie gesehen, warum andere eine Sonne brauchen. Du hast nie gewusst, dass am Ende jeder eine Sonne braucht.“ Ihr Atem geht rasselnd. Das Sprechen strengt sie an. „Du hast mich verhungert. Dein Schatten ist ein Pesthauch, der gierig nicht frisst, nur zerstört. Du bist der Mond aus Eis. Einzig das Wissen, dass du klanglos an dir ersticken wirst, gibt mir Frieden. War ich doch töricht genug, beim Versuch, deinen Eismond mit meiner züngelnden Sonne zu entflammen, zu scheitern.“
Eins.
Sie zittert nicht mehr, ihre Brust hat aufgehört, sich zu heben und zu senken, für immer.
Ich verbleibe als letzter Zeuge. Die einsame Ewigkeit trifft mich. Ich zerbreche.
Null.
[Sommer 2015]