Sie fliehen vor mir in ihrer albernen Nacktheit. Das Gras unter meinen Füßen sprießt weich und üppig. Reste von Tauwasser verleihen ihm eine kühle Frische. Der angrenzende Wald überschattet das dunkelblaue Grün wie ein liebender Vater seine Kinder unter der gnadenlosen Mittagssonne. Jenseits der Schatten erstreckt sich die unverblühmte Wiese ins Ewige.
Zwanzig Meter vor dem Waldrand, noch unter den Schatten, gräbt sich das Loch in die Erde. Geformt ist es wie ein tiefer, ein sehr tiefer Blütenkelch – die einzige Blume weit und breit. Meine Blume. Das Loch erstreckt sich tief, tief bis in alle Höllen.
Es ist merkwürdig, denke ich, dass die Nackten sich immer wieder so nahe heranwagen, statt für immer über die Weide zu entfliehen. Sie könnten es wohl. Doch soweit ich sehen kann, tun sie unter dem immergleichen Himmel nichts, als ziellos umherzurennen, mal schnell, mal langsam. Ihre weiße, von einem kalten und schmierigen Fett- und Schweißmantel überzogene Haut, reflektiert die blaugrüne Umgebung.
Albern, mag man denken, dass sie so scheinbar ohne Zweck und Rast durcheinanderwuseln. Aber ich kann ja auch anders, als ihnen hinterher zu rennen, um sie an ihren schlüpfrigen Armen zu packen. Sie sind gar nicht so leicht einzufangen. Noch schwerer allerdings sind sie zu halten.
Habe ich nämlich erst mal einen von ihnen zu fassen bekommen, versucht er sich mir mit der Kraft der Verzweiflung wieder zu entreißen. Oft genug gelingt ihm das, er ist ja sehr schlüpfrig, und ich muss ihn dann schnell wieder packen, bevor er Gelegenheit findet, sich davonzumachen.
Auf diese Weise, ihn immer wieder verlierend und packend, zerre ich ihn dann mit mir. Er schreit und weint und wehrt sich, weil er weiß, dass er ins Loch gehen muss, aber er weiß nicht, dass ich genau so sehr oder sogar noch mehr leide; dass mir das Herz zerspringt, dass ich aber ohne Gnade bleiben muss.
Ihre Gesichter sind für mich kaum unterscheidbar. Habe ich es einmal geschafft, einen von ihnen unter erheblichem Kraftaufwand in die Blume zu werfen, vergesse ich ihn meist sofort wieder. Vielleicht haben sie tatsächlich gar keine Gesichter. Ich kann es nicht sagen, ich achte nicht sehr auf diese Nebensächlichkeiten. Auch ob sie männlicher oder weiblicher Natur sind, kann ich trotz ihrer Nacktheit nicht mit Bestimmtheit sagen. Gewiss ist nur, dass sie mich ebenso sehr anwidern, wie meine ganze Tätigkeit. Ihr vergeblicher Widerstand widert mich an und ihre Idiotie, der Blume immer wieder zu nahe zu kommen bringt mich fast zum Würgen, wenn ich sehr daran denke.
Doch ich bleibe. Ich könnte wohl verschwinden. Doch ich bleibe hier, um sie alle ins Loch gehen zu lassen. Weil einer es tun muss.
Manchmal, wenn ich mich ganz schnell umdrehe, habe ich das Gefühl, nackt und schmierig zu sein und ziellos umherzulaufen. Aber dann jage ich wieder.
[November 2016]