Wir kommen nach kurzer Fahrt mit dem Himmelsschiff in Amerika an. Wir wählten den direkten Luftweg von Frankfurt nach Washington D.C., voll unbändiger Vorfreude auf diese neue Welt. Das Schiff läuft, von blauen Himmelswellen getragen, in den Lufthafen ein. Mit dem 2-DoF-Lift geht es vom Deck zum Kai zum Terminal. Das Gepäck kommt selbstverständlich selbständig nach. In Amerika trägt man nicht selbst. Weder Gepäck, noch Würde.
Am Ende des Terminals: Passkontrolle. Unsere Gruppe wird von den übrigen Passagieren separiert. Warum?
„What ya doin‘ in the US!?“ – harsche Stimme. Okay. Aber wir haben ja nichts zu verbergen.
Zwar sind wir trotz der Gerüchte um die Rauheit und das allgemeine Misstrauen US-Amerikanischer Beamte und Polizisten ein wenig überrumpelt, doch nehmen wir das Verhalten im Moment der Überraschung einfach mal als gegeben hin. Nur nicht negativ auffallen.
„Oh, just some travelling, visiting the country and so on. Just tourist stuff, you know?“ Lunas Englisch ist ähnlich einfach wie das meinige, doch sollte es für touristische Zwecke allemal ausreichen. „Is there some kind of probl..“ sie wird mitten im Wort abgewürgt.
„Do ye have relatives here!?“ Speicheltropfen fliegen uns entgegen. „Any of ya lot?“ Die aufgeschwemmte, grobporige Bullenvisage widert mich zunehmend an. Ich verziehe kurz den Mund.
„Nope.“ Luna schaut zum Boden. Warum denn? „Schould we?“
„Ye know, lotta people come here just ter mess up things. Know what I mean? Dey like partyin‘ ’n‘ crazy stuff. Young people like ye are. Ye know. Kinda all like ‚parteeeeey yeaaaaa‘. Troublemakers, right? RIGHT!?“ Jedes Wort läuft vor feindseligen Vorurteilen über. Als sei es ein Verbrechen, jung und europäisch zu sein.
„But ye know, I gotta some a kinda feeling ye ain’t tourists like that, aye? Not youuu.“ Er hievt seinen fetten Leib um das sperrholzene Pult, schwer atmend. „Follow me ye lot. And dontcha worry ‚bout yer baggage. We’ll check it, kay? Kay.“ Er grummelt etwas, das sich verdächtig nach scum anhört.
Schweren Schrittes schreitet der Bulle auf das Ende des Terminals zu; ergeben folgen wir ihm. Latent beunruhigt.
„Could you please tell us what’s going on he..“ die wirbelnde Drehung des Beamten unterbricht mich. Sein Wanst schwabbelt noch einige Sekunden nach. Ich muss ein Lachen unterdrücken.
„We’ll find out ‚bout that pal, believe me. Hehe. We will. Find. OUT!“ Er sieht mir einige Sekunden in die Augen, als sähe er darin meine Gedanken. Soll vermutlich einschüchternd wirken. Ich schweige und warte. Warte ab. Warte ab, ob auf schroffe Worte schroffe Taten folgen. Aber nein. Schwerfällig macht er auf dem Absatz kehrt, die rechte Hand auf der Schusswaffe ruhend, der Kopf in Selbstbestätigung nickend, und marschiert weiter in Richtung der schweren Stahltüre.
Mein erster Eindruck: Zuckendes rechtes Augenlid, blutunterlaufene Sclera. Aufgequollene Alkoholikernase, übersäht mit geplatzten Äderchen. Sehniger Cholerikerhals, von fetten, aufgedunsenen Venen durchzogen. Ekel. Ich sollte Übles befürchten, aber ich habe schon immer gerne die offensichtlichen Anzeichen ignoriert. Die Oberfläche zählt ja nicht. Jaja. Insbesondere wenn man in seinem Leben viel zu oft andere Menschen falsch analysiert und missinterpretiert hat. Da wäre ich ein Mal im Leben absolut richtig gelegen. Aber natürlich, in genau diesen Situationen beliebt man, seiner Intuition, seinem blank liegenden Instinkt keinerlei Glaubhaftigkeit zu schenken.
Resigniert und brav folgen wir ihm in geringem Abstand. Die in der Wartehalle verteilten Passanten mustern uns gleichsam neugierig und teilnahmslos. Die Probleme anderer sind nicht die meinigen. Noch nicht. Eine Mentalität, die nicht nur in der Muttermilch schwimmt.
Hinter der massiven Flügeltüre mit der Inschrift „No access for passengers – Security“ erwartet uns ein in blau und weiß gekachelter Raum, dessen Atmosphäre die tatsächlichen Temperaturverhältnisse um einige Kelvin unterbietet.
„Wait here till I’m back.“ weist uns Mister Officer an, indem er auf eine Reihe ungemütlich aussehender Metallstühle zeigt und sich schwerfällig der gegenüber liegenden Türe zuwendet. Als hätten wir eine Wahl.
Kurz bevor die Türe hinter ihm zuklappt, dreht er sich um und wispert unter einem süffisanten Grinsen „If you run away I’ll get ya.“ Und weg ist er.
Wir blicken uns unsicher an und um, nehmen ohne ein Wort auf der ungemütlichen Garnitur Platz und starren die Wände an.
Schweigen. Ein wenig betreten. Ein wenig unsicher.
„Was ist denn los?“ fragt Luna dünn in den Raum. Eine Antwort erhält sie nicht.
Unverwandt starre ich die Überwachungskamera in der rechten oberen Ecke an und bin mir sicher, dass man uns abhört und beobachtet. Manchmal ist es besser, die Fresse zu halten. Hat das Mutter nicht immer gesagt?
Nach einer gefühlten Ewigkeit öffnet sich die Türe erneut und Officer America kehrt zurück, in den Händen eine Digitalkamera, ein Diktiergerät, ein Notizbuch und eine Dose Baked Beans – Heinz lässt grüßen. Es sind Gegenstände aus unserem Gepäck. Das Diktiergerät gehört Luna. Die Kamera.. keine Ahnung, wem die gehört. Kaya vielleicht. Der Rest ist mein Zeug.
Mister America hält mein Buch und Lunas Diktiergerät in die Luft, während er Cam und Dose klirrend auf den Tisch prasseln lässt. Ein höhnisches Funkeln sprüht aus den Augen dieser garstigen Gendarmenfresse.
Kaya springt auf. „My cam! You demolished my..“
„Shut up SLUT!“
Also tatsächlich Kayas Cam. Und, wirklich, durch die Linse zieht sich ein unregelmäßig gezackter Blitz. Zumindest das Objektiv dürfte damit hinüber sein.
„Sit back down!“ Kaya steht noch immer. Mister America legt die Rechte an die Schusswaffe im ledernen Holster. Den Blick drohend gesenkt. „Sit. Back. Down. I dare you. I double dare you motherfucker.“
Kaya schrumpft auf ihrem Stuhl zusammen, die Augen wässrig, unterstrichen von einer zitternden Lippe. Das kann ihr keiner verübeln bei den Horrorgeschichten, die über Ami-Bullen so die Runde machen.
Mister Officer hält erneut Notizbuch und Diktiergerät in die Luft und wedelt damit vor unseren Augen herum. Mit wenigen Sekundenbruchteilen Verzögerung wedelt sein feister Schwabbelarm hinterher.
„We checked those..“
„That’s private!“ rufen Luna und ich fast zeitgleich aus.
„Silence! We Americans have any right to confiscate and check everything of any relevance. And ye know why? ‚Cause we’re Americans. So please, for god’s fuckin‘ sake, shut the fuck up when I’m talking or I’ll beat the shit outta yer niggafaces. Hehe.“
Nun, langsam fühle ich mich doch ein Stück weit verunsichert. Das überrascht mich.
„As I said, we checked those. And we found explicit information, coded in different so called poems and stories which threaten our national security.“ Er pausiert und weitet die Augen. Widerliche Bullenfresse. Ich kann’s nicht oft genug sagen. „Or at least we guess so. We couldn’t solve the code yet. But you’ll tell us the true meaning of these texts. Believe me. You will.“
Es herrscht mehr oder weniger sprachloses Staunen. Ich glaube, dass keiner von uns begreift, was hier gerade passiert. Mein Kopf fühlt sich leer an, gleichzeitig allerdings so voll, dass er auf allen Schienen blockiert.
Ich stehe auf. „What the heck is wrong with you? That’s nothing more but some poems and short stories I wrote. They mean nothing! There’s no such thing as a code in ‚em.“ Was soll ich auch sonst sagen?
Dafür werde ich mit einer schallenden Ohrfeige honoriert. Und ich Schmalhans gehe direkt zu Boden. Kein Wunder bei dieser fetten Fleischpranke.
„Yea righty right. Shut your filthy terrorist-mouth, will you? We know everything. This is America. We ascertain everything.“
Er wabbelt langsam auf den Tisch zu. Wie eine Szene aus einem billigen Slapstick-Streifen. Es wäre zum Lachen, wäre die Situation nicht so verrückt.
„Still.. We need to check cam and can. You talk ‚bout ‚em in yer stories. In the meantime we’re gonna take ya to some other place. A place where you’ll sing and sing. And sing.“ Er zögert eine Sekunde. Dann: „Follow me!“
Er macht abrupt auf dem Absatz kehrt und marschiert in Richtung Türe. Nur zögerlich stehen wir auf – ich vom Boden, die anderen von ihren Blechstühlen – und trotten ihm resigniert hinterher.
„HURRY!“
Wir gehen schneller, werden durch einen silbergrauen, von flackernden Neonleuchten erhellten Korridor ohne Türen geführt. Es ist kalt, das Schweigen dehnt die Luft. Außer unseren Schritten und Kayas Schniefen ist nichts zu hören. Kurzer Blick- und Gedankenaustausch mit Luna. Fast lächeln wir. Fast. Schade, dass wir uns nicht besser kennen. Schade, dass ich niemanden hier besser kenne. In einer solchen Situation fühlt man sich schnell alleine und verlassen.
Der Korridor nimmt kein Ende und ich habe das Gefühl, in Kafkas Gehirn geraten zu sein, nur in moderner Ausführung. Mir wird schlecht. Die Welt scheint plötzlich nicht mehr so zu funktionieren, wie sie soll. Man ist mit einem Regelwerk konfrontiert, das nicht durchschaut werden kann. Nur alle anderen, die durchschauen es, irgendwie scheint es ihnen zu gelingen. Wie nur? Und man hat viel zu viel Angst, als dass man irgend etwas infrage stellen würde. Lieber fügt man sich und versucht, ein Spiel mitzuspielen, dessen Regeln man nicht kennt. Und beim Versuch, die Regeln irgendwie zu ermitteln, fällt man von Mal zu Mal unter unglaublichem Getöse auf die Fresse.
Wir erreichen eine weitere grau gestählte Türe, die sich bei unserer Ankunft automatisch öffnet. Was dahinter liegt, sieht aus wie der Frachtraum eines Flugzeugs. Am Ende des Raumes führt eine Treppe nach oben, die in einen glasbekuppelten Raum mündet, welcher von Sitzen in Zweierreihen gesäumt wird, dem Innenleben eines Flugzeugs nicht unähnlich.
Durch die Glaskuppel ist das futuristisch anmutende Washington zu sehen.
„Sit down.“ Officer Universe steht am Ende der Sitzreihen und blickt uns ungeduldig entgegen, bis wir einen Platz einnehmen.
Ich sitze vorne, in der ersten Reihe. Luna rechts neben mir. Ein Augenblick Ruhe. Nur einer. Danke.
„This is a battle robot. New generation. S7. Build for war.“ Seine Brust platzt schier vor grenzbehindertem Stolz. „It can walk, it can drive, it can swim, it can dive and it’s indestructible. Impressed? Didn’t have that in mind, did ya? Haha. Well it’s still a big secret. Ya know what that menas don’t ya?“ Natürlich wissen wir es. Wir kennen aus unzähligen Filmen die Szenen, in welchen der Antagonist seinem Opfer seine Geheimnisse offenbart, während dieses gefesselt ist und dem Unentrinnbaren entgegenzittert. „Well well. We’ll take ya to an island a lil‘ bit down the coast. Hehe.“
Mit diesen Worten und einem schadenfrohen Grinsen wendet er sich an zwei schlaksigen blau-schwarz Uniformierten, die einige Meter vor uns an blinkenden Konsolen mit etlichen Schaltern und Knöpfen in großen Drehstühlen sitzen. Wie die Piloten eines Flugzeugs, nur etwas geräumiger untergebracht.
„Geht the permission!“ bellt Officer Starsnstripes die beiden an. Pilot 1 murmelt, für uns nicht hörbar, in sein Headset.
Als der Roboter sich ruckend in Bewegung setzt, dreht er sich um und ruft „Permission obtained!“
„And now get the other one already!“ Officer Starsnstriptease scheint ein wenig ungehalten. Ich beginne, die ganze Situation eher lustig als beängstigend wahrzunehmen.
Und wieder murmelt Pilot 1 in sein Headset, während Pilot 2 fleißig diverse Schalter bedient und eine Tastatur betippt. Wir werden von den Laufbewegungen des Roboters mal mehr mal weniger stark hin und her gewiegt, während ein sauber glänzendes Washington an uns vorüberzieht. Luna und ich halten uns an den Händen und sehen uns an. Fast kichern wir. Natürlich haben wir panische Angst. Aber irgendwie ist es auch unglaublich komisch.
Die Erlaubnis kommt nicht sofort. Wir warten in einer Stille, die lediglich von den Bewegungen der kolossalen Kriegsmaschine und einem gelegentlichen Rauschen der Funkgeräte unterbrochen wird. Officer Ohnegleichen blickt immer wieder gereizt in Richtung der Piloten. Lunas und meine Hände sind schwitzig ineinander verkrampft und zittern leicht. Ein seltsames Gefühl, so als würde einem nicht nur die Welt vor den Augen, sondern auch der Verstand in den Synapsen verschwimmen. Fast träumerisch. Leicht und ölig.
Nach siebzehn Minuten wendet sich Pilot 1 in seinem Drehstuhl um.
„Guantanamo permission obtained!“ und die Zeit bleibt stehen.
Sekunde 1: Officer Supermans Augen verengen sich zu bösartigen Schlitzen, die Pilot 1 ins Visier nehmen, der ihn so leichtfertig um seinen persönlichen Spaß betrogen hat. Ich höre, wie Tarek hinter mir Guantanamo flüstert, als atme er seine Seele aus. Lunas Hand greift fester zu. Ich drehe meinen Kopf unendlich langsam in ihre Richtung. Officer Universums Augen durchbohren Pilot 1 mit den schweigenden Worten fuck it ye basterd, that’s it. Die Augen von Pilot 1 weiten sich im Angesicht dessen langsam.
Die Welt atmet zitternd aus.
Sekunde 2: Ich sehe in Lunas Augen, sie in meine. Captain Officers Hand zieht mit geübter Akkuratesse die Knarre aus dem Holster und reißt sie mit einer Geschwindigkeit nach oben, die man seinen Puddingarmen gar nicht zugetraut hätte. Aus seinem leicht geöffneten Mund rinnt eine weißliche Spur dickflüssigen Speichels. In Tareks Kopf wechseln sich hunderte Möglichkeiten der Folter finster lachend gegenseitig ab, während Kayas Jeans sich vom Schritt ausgehend dunkel färbt. Waterboarding. Pfählung. Schlafentzug. Vergewaltigung. Daumenschrauben. Ein Blitzlichtgewitter aus Schmerz und Erniedrigung. Pilot 1 springt in Zeitlupe aus seinem gepolsterten Lehnstuhl auf.
Sekunde 3: Captain Officer katapultiert mit lautem Knall eine Kugel in Richtung des Kopfes von Pilot 1. Luna küsst mich, die Hände noch immer in enger Umklammerung. Weiche Lippen. Tarek und Kaya pressen sich mit geweiteten Augen in ihre Sitze. Ich küsse Luna, die Hände noch immer in enger Umklammerung. Die Patrone penetriert die linke Pupille von Pilot 1. Das Blei berstet in einem Blutschwall die hintere Hälfte des Schädelknochens. Pilot 2 reagiert, sich in Zeitlupe drehend und die Kontrollarmaturen vergessend. Luna und ich lösen unsere Lippen voneinander. Das Blut verteilt sich spritzend über Bildschirme, Blinklichter, Schalter, Knöpfe und Metallverkleidungen.
Sekunde 4: Rauch steigt aus der Knarre Captain Officers. Ich lache. Luna lacht. Kaya kreischt. Der Kampfroboter neigt sich mangels bedienter Steuerelemente langsam rumpelnd nach vorne rechts. Ich sage Ich liebe dich, noch immer lachend. Pilot 2 bestarrt fassungslos den von einem geöffneten Schädel gekrönten fallenden Torso von Pilot 1 und vergisst die Steuerung der Maschine restlos. Diese neigt sich weiter und weiter. Captain Officer verliert langsam den Halt. Luna sagt Ich liebe dich. Die Maschine fällt. Wir drücken uns aneinander, den Geist ineinander.
Sekunde 5: Die Welt endet.
[Juli 2015]