Es ist an der Zeit, drastischere Maßnahmen zu ergreifen. Alle herkömmlichen und gebräuchlichen Methodiken sind kläglich gescheitert. Nicht sehr verwunderlich bei einer Ausnahmepersönlichkeit meines Kalibers. Jedoch, es ist in solcherlei Fällen stets ratsam, alle weniger gefährlichen Praktiken erschöpfend auszuloten.
Man muss Gründlichkeit walten lassen bei derart essentiellen Belangen.
Doch unauffindbar ruht der Knoten in meinem Leib. Er versteckt sich hier und dort und spinnt und webt seine schwarzen Fäden durch und durch mich.
Mehr als ein Dutzend medizinische Invasionen meiner Person zeitigten keinerlei Aufschluss; zu gerissen ist er, der Knoten. Psychische wie somatische Diagnoseverfahren verliefen wirkungsfrei im Nichts. Zu aufmerksam wittert er die Gefahr, die ihm dräut.
Blinde Therapien mit Substanzen, über deren Wirkungsweise selbst unter den größten Koriphäen der Medizin Uneinigkeit herrscht, prallten ohne nennenswerten Effekt an ihm ab. Zu gut kennt er heutige und künftige homo sapiens’sche Kniffe, seinesgleichen – bis zu einem gewissen Grad schadlos – auszumerzen.
Nein, für dieses Exemplar müssen alle Register gezogen werden.
‚Warum?‘ mag man sich fragen. ‚Warum die Umstände, der beträchtliche Aufwand, all das Risiko?‘
Ich will Ihnen das ‚Warum‘ darlegen. Glauben Sie es, glauben Sie es nicht – irrelevant; denn Sie sind nichts weiter als eine Nebenrolle. Doch weiß ich, dass es da draußen Menschen geben muss, die mein Schicksal teilen, die einen ähnlichen – gar den selben – Tumor in sich tragen, und für die es eine Erlösung sein wird, dass endlich endlich einer da ist, der das Schweigen, der ihr goldenes Schweigen bricht und zu Staub schreit.
Auf welche Weise mit Betroffenen wie mir in der Öffentlichkeit umgegangen wird, muss wohl kaum näher ausgeführt werden. Zu deutlich sprechen die Bilder meiner Inhaftierungen, meiner Einweisungen. Es ist immer auf’s Neue ein Trauerspiel; von meinen Feinden ins grelle Tageslicht gezerrt und vom tumben Volke niedergetreten.
Doch ich verliere mich in Sentimalerei. Ich möchte mich jeglicher medialer Reaktionen entkleiden, um mein Leid so zu beschreiben – genau so –, wie es mich zerstört. Vielleicht erreiche ich so einige wenige, die das Grauen aus eigenem Erleben nachempfinden und nachverstehen zu vermögen.
Durch Außenstehende zu einer Alternativlösung zu gelangen ist wahrlich nicht mein bestreben. Glauben Sie mir, ich habe jeden noch so steinbesäten Weg zerwandert, sofern er nicht bar jeglicher Plausi- und Passabilität lag. Auf etwaige Zuschriften, mögen sie auch noch so gutmeinend sein, verzichte ich daher dankenderweise. Zumal Sie versichert sein können, dass ich, sollten diese Zeilen je den unwahrscheinlichen Weg in Ihre bedauernswerten Hände finden, längst geheilt oder auf immer Geschichte sein werde.
Ist auch vieles ungewiss, so wird sich eines in bestechender Klarheit zeigen: Dass meine Methode präzise, zuverlässig und final ist.
Doch zurück zur eigentlichen Ursache – wir wollen nichts übereilen – zurück zu jenem schwarzpulsierenden Scheusals, welches mich so drückt. Zeichnen wir seinen Charakter ein wenig, entblößen wir ein wenig die Züge, die jene verhängnisschwere Macht vor dem einfachen Betrachter verhüllt. Wir werden sehen, dass sie dem ambivalenten Archetypus höchst zugeneigt ist.
Der Handhabe halber bezeichnen wir diese Präsenz kurz doch treffend, als ‚Knoten‘, wobei wir implizit annehmen, dass es sich um einen schwarzen Knoten, ein schwarzes Ka, handelt.
Der Knoten nun ist gleichsam scheu und egozentrisch – Ausdruck seiner Ambivalenz.
Scheu ist er in der Hauptsache in Anwesenheit von Ärzten, Doktoren, Zerredern und anderweitigem sogenanntem Fachpersonal.
Doch beliebt es ihm – selbstverständlich in Abwesenheit scheinbar verständiger Präsenzen –, die Aufmerksamkeit sowohl meines Körpers, als auch meines Geistes, gänzlich in Beschlag zu nehmen. Oftmals begnügt er sich, sehr zu meinem Leidwesen, nicht mit meiner Person als solcher. Mein allzu kleiner Kreis an Menschen, die sich noch in meine Nähe wagen, leidet in ähnlichem Maße wie ich selbst unter seinem bitteren Joch; schlicht seine Leidenschaft, sich meines Geistes und Verhaltens zu bemächtigen, ist der Mahlstein meiner Umwelt. Dabei geht er – durchtrieben, wie er ist – stets hochgradig hinterlistig vor.
Wie nun macht er das? Wie gelingt ihm dieser gleichermaßen fatale wie unabwendbare Einfluss?
Die genauen Vorgänge und deren Kausalität geben selbst einem langjährigen Kenner wie mir in vielen Bereichen noch Anlass zu Rätseln. Doch meine ich, inzwischen gewisse Muster aus seinem Vorgehen extrahiert zu haben.
Weniger versierte Geister mögen nun fragen, weshalb ich dieses Wissen nicht in Form eines undurchdringlichen Schutzschildes vor den Einflüssen des Knotens zur Anwendung bringe.
Gestatten Sie mir, diese Frage mittels einer simplen Analogie – welche in ihrer Ausführung ästhetisch hinken mag – in der ihr gebührenden Art und Weise abzufertigen.
Man imaginiere sich einen dem hohen Alter anheimgefallenen Kerl, dessen anderweitig friedlicher Lebensabend nun doch von allerhand körperlichen und geistigen Leiden nicht nur beeinträchtigt, sondern geradezu zerplagt wird. Wohl sieht er die Muster der Kanäle, auf welchen die übermächtige Zeit seine biologische Festung mit Schmerz und Sabotage flutet – doch kennt er den Vorgang des Alterns keineswegs im Detail. Daher ist er diesem düstersten aller Vorgänge hilflos gegenübergestellt. Dann kämpft sich eine einsame gesalzene Träne, verzweifelnd ob dieser Hoffnungslosigkeit, ihren Weg aus dem gefalteten Schatten des glänzenden Augenwinkels. Sie zeichnet die zerklüftete Wange gleich dem Glanz einer verglühenden Sternschnuppe – doch wird dem Alten kein Wunsch gewährt.
Der Knoten ist dem Alter nicht nur hinsichtlich der Vorgehensweise verwandt; die beiden arbeiten Hand in Hand.
Wenn er sich, wie es ihm behagt, in meiner Lunge einnistet, um mein Herz zu verstolpern und aufzuzehren, so spüre ich das Gewebe beider Organe in unnatürlichsten Maßen altern – selbst unter den ohnmachtgebietenden Schmerzen noch kann ich es fühlen. Und dann, wenn er sich von einer meiner Nieren aus an der physischen Manifestation meines Geistes – meinem Gehirn – zu schaffen macht, so schleicht sich unter das schmerzlich drückende Augenstechen und den beträchtlich dissonanten Krach jener grausubtile Klang viel zu rasch verstreichender Zeit.
Er raubt mir nicht einfach die Genüsse des Lebens, sondern das Leben in seiner klarsten dimensionsreichen Gestaltung.
Sein wüten in jenem größtenteils von meiner Physis gelösten Instanz meines Daseins – meiner Psyche – hat sich über die Zeit als noch um etliche Grade fataler erwiesen.
Manche Nacht nistet der Knoten in meinem Sehzentrum, mich mit einem widerlichen, in meine akustischen Bereiche injizierten, Pfeifton an der somnialen Regeneration zu hindern. Umgekehrt beliebt es ihm, in meinem Hörzentrum Raum zu beanspruchen, um meine visuelle Wahrnehmung zu beliebigen Tag- und Nachtzeiten mit mannigfaltigen Reizen und Wahnbildern zu fluten. Das Resultat setzt sich zusammen aus potenzierter Schlaflosigkeit und realitären Fehlwahrnehmungen – fälschlicherweise als Halluzinationen kategorisiert und abgekanzelt.
Die möglichen fatalen Konsequenzen für das schlichte Anstreben eines geregelten Lebenswandels möge man sich selbst in den fadesten Farben ausfächern; sie könnten nicht fade genug sein, die bare Realität zu skizzieren.
Doch nicht meine sinnlichen Wahrnehmungen sind mein Kreuz, keineswegs. Die Manipulationen, welche dieses Bild eines listigen Bastards in meiner Emotions- und Memoralwelt vollführt sind es, die mir die Existenz vergällen.
Denn wer sonst fährt in jähem Zorn auf und gegen seine Liebsten?
Wer sonst wird – von den besten Freunden umzirkelt – von Einsamkeit durchfurcht?
Wer wittert Missgunst, wer riecht Verrat an jeder Ecke und ohne jeden Anlass?
Wer übergießt die fremde Hure, den fremden Bückling mit Bei- und Liebesfall?
Wer ist so von einem unentwirrbar komprimierten Knoten zerfressen, der nichts fürchtet, als das Schwert Alexanders?
Ja, ich hasse, was ich habe. Ja, ich liebe, was ich begehre, wie es so unendlich fern vor meiner Netzhaut grinst.
Zu all solchem veranlasst der Knoten mich; all solches tut er mir an; solcherart belädt er mein sonst gemütliches Gemüt.
Nun erbot sich jüngst die Frage, warum der Knoten sich stets in dem einen Organ niederlasse, um ein anderes, nicht zwingend benachbartes, seinen Martern zu unterziehen, in Expertenkreisen diskutiert zu werden. Unterschiedliche Thesen darüber wurden an mich herangetragen, die eine hanebüchener als die andere. Tatsächlich waren diese Thesen derart albern, dass jene Suggestion, dieses Vorgehen diene der Tarnung, dem Versteckspiel, noch am plausibelsten schien, wenngleich sie doch offensichtlich an allzu dünnen Haaren herbeigezogen ist.
Meinem nüchternen Blick nun ist zu verdanken, dass ich an dieser Stelle die doch eigentlich sehr offen liegende Wahrheit aussprechen darf, in deren Angesicht dieser ungestalte Wust an Thesen getrost verblassen darf. Im Grunde ist es sehr simpel: Setze nicht auch ich mich auf einen Stuhl, wenn ich mir den Tisch als Arbeitsstätte erwähle? Stehe ich denn nicht auf dem Tische, um an der flimmernden Deckenleuchte zu hantieren? Wir sehen: Das ganze ist einfach und schlicht der Zweckmäßigkeit geschuldet. Denn, so sagen Sie mir, wer würde sich auf den Schreibtisch setzen, um auf selbigen seine Arbeit zu verfertigen? Wer hinge äffisch von der Decke, das Licht zu korrigieren? Es ist offensichtlich, dass der Knoten das natürliche Verhalten des Homo Sapiens auf elegante, doch vernichtende Art und Weise imitiert.
Inzwischen ist es ein wenig finster geworden; Somit herrschen die optimalen Lichtverhältnisse für eine umfassende somatische Exploration, die den Knoten in greifbare Nähe und somit unweigerlich in die letztendliche Vernichtung rückt.
Auf dem Bügelbrett liegt mein Leib aufgebahrt, direkt daneben mein Körper. Skalpell und Säge liegen ebenfalls bereit. Die Kerzen flimmern dann und wann, obwohl Windstille ihre Lippen leckt. Es ist an der ZeitZeitZeit, mich in hauchhauchdünne Scheibchen zu schneiden, so kann er mir unmöglich entgehen, keineswegs. Auf zu neuen Ufern!
Es sind Schritte zu hören. Die letzten Meter des Tonbandes setzen sich aus qualvollen Schreien und dem Geräusch von Sägen und Schneiden zusammen. Gelegentlich hört man, wie etwas dumpf auf den Boden klatscht.
Am Morgen unmittelbar nach der Fertigung dieser Aufnahme fand man im Zimmer von S. lediglich dieses Tonband. Wände, Decke und Boden fand man blutüberströmt vor. S. selbst konnte indes nicht aufgefunden werden.
Wie S. das verriegelte Zimmer verlassen konnte und wen S. verstümmelt oder eventuell ermordet hat, ist ungewiss. Am Morgen waren sowohl Türe, als auch Fenster elektronisch verriegelt. Eine Störung gab es in der Nacht nicht.
Bitte setzen Sie die Behörden umgehend davon in Kenntnis, dass sich ein unheilbar psychisch Gestörter in der näheren Umgebung aufhalten könnte. Diese Person ist nicht zurechnungsfähig und augenscheinlich zu allem fähig.
Gez.
Arnold Karniewski
Leiter des Sanatoriums Kuro-Umi für unheilbare Fälle
[August 2015]